Afghanistan – ein Debakel deutscher Außenpolitik
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
mit Entsetzen müssen wir mit ansehen, wie Afghanistan nach 20 Jahren massiver Unterstützung des Westens mit Militär, Ausbildung, Hilfsgütern und viel Geld innerhalb kürzester Zeit den Taliban mit ihren mittelalterlichen Herrschaftsstrukturen der zufällt. Offensichtlich hat die westliche Welt nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass weite Teile der afghanischen Gesellschaft nicht reif für eine aufgeklärte demokratische Gesellschaft sind, unsere westlichen Werte der individuellen Freiheit und Menschenwürde dort nicht erstrebenswert erscheinen. Die Gesellschaftsordnung außerhalb der großen Städte ist dort mittelalterlich geprägt. Eine Trennung zwischen geistlicher und weltlicher Autorität ist unvorstellbar. Das Wohlergehen der Familie, des Clans oder des Stamms ist viel wichtiger ist, als das individuelle Wohlergehen. Diese Menschen empfinden Loyalität nur gegenüber der eigenen Gruppe, nicht gegenüber dem Staat. Zumindest ich habe die Menschen in Afghanistan so erlebt.
Diese Erkenntnis ist nicht neu und sollte eigentlich zum Basiswissen der Afghanistan-Politik gehören. Eine faktenbasierte Lagebewertung hätte mindestens das Szenario kampflosen – zumindest widerstandsarmen – Machtübergabe an die Taliban entwickeln müssen.
Warum aber wurden die Erkenntnisse der deutschen Botschaft in Kabul missachtet? Traut das Außenministerium seinen eigenen Mitarbeitern nicht zu, die Lage vor Ort realistisch zu bewerten? Haben Nachrichtendienste und das Militär ihre Erkenntnisse nicht an das Außenministerium weiter gegeben? Gab es keine koordinierte Auswertung aller Erkenntnisse über und aus Afghanistan? Ist der Grund für das Versagen einer überheblichen Besserwisserei der Leitung des Außenministeriums zuzuschreiben?
Ohne die internen Abläufe in der Bundesregierung genau zu kennen, ist eine Schuldzuweisung an einzelne handelnde – oder eben leider nicht handelnde – Personen kaum möglich. Es bleibt jedoch das Erschrecken der Bundesbürger über eine so massive Fehleinschätzung der Lage in Afghanistan. Sicherlich ist es so kurz vor der Bundestagswahl nicht sinnvoll, jetzt noch Minister auszutauschen. Der Wahlbürger muss sich jedoch ernsthaft fragen, ob er diesen oder jenen Politiker in der nächsten Legislatur wieder in einem Ministeramt sehen will. Die faule Ausrede beteiligter Politiker, viele andere Staaten hätten ebenfalls die Lage falsch eingeschätzt, hilft uns nicht weiter. Wir Bürger wollen, dass unsere gewählten Politiker die Regierungsabläufe so gestalten, dass ein solches Versagen nicht auftritt. In die Wahlentscheidung sollte das Wissen über Regierungsversagen einfließen.
Wir wünschen Ihnen ein angenehmes Wochenende und eine baldige Immunisierung, bleiben Sie gesund!